Kolumne Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

"Reiner Wein" in der Frankfurter Allgemeinen Sonntags Zeitung 24.12.2023

Welch eine Betörung


Was unseren Kolumnisten Stephan Reinhardt ins Staunen brachte.

Alternativen zu Riesling sind unter anderem Burgunder. Aber französische? Bei aller Liebe, aber die wirklich feinen sind absurd teuer geworden. Selbst für deutsche Spitzengewächse muss man mitlerweile mehr als 100 Euro pro Flasche bezahlen. Ob es in weniger etablierten Regionen noch erschwingliche Alternativen gibt?
Selbstverständlich, die gibt es, zum Beispiel auf dem Weingut Gebrüder Mathis in Merdingen am Tuniberg westlich von Freiburg. Der Tuniberg ist ein etwa zehn Kilometer langer Bergrücken. Die von Löss bedeckten Kalksteinböden der Jurazeit machen den Bereich im Südbadischen zu einer erstklassigen Herkunft für Burgunderweine, allen voran Spätburgunder, der mehr als die Hälfte der rund 1100 Hektar Rebfläche besetzt. Die Region steht etwas zu Unrecht im Schaten des viermal so großen, vulkanisch geprägten Kaiserstuhls, der landschaftlich und kulinarisch spektakulärer ist und eine ganze Reihe hervorragender Weingüter beherbergt. Vorzügliche Produzenten findet man aber auch am Tuniberg. Weine, die ihr Herz auf unseren Zungen tragen
Das Weingut der länger schon verstorbenen Gebrüder Mathis, das früher einmal Kalkbödele hieß, weil die Lagen der Domäne auf und um einen Kalksteinbruch liegen, der die eigentliche Einnahmequelle der Familie war: 20 Jahre lang führte dann Sonja Mathis-Stich den Betrieb, bevor sie 2020 an Sohn Severin übergab. Der brachte vom Weinbau- und Önologiestudium in Geisenheim die Pfälzer Winzerin Sabeth Sedlatschek mit. Sie übernimmt Keller, Büro und Verkauf, während er sich um die 15 Hektar Weinberge kümmert, die seit drei Jahren biologisch bewirtschaftet werden. Der Jahrgang 2023 wird der erste mit EU-Bio-Zertifikat sein.
Die Weine des Hauses, allen voran die weißen und roten Burgunder, sind von einer berührenden inneren Ruhe und Harmonie. Es sind Weine, die ihr Herz auf unsere Zungen tragen und schon beim ersten Probierschluck für staunendes Innehalten sorgen. Kann es denn sein, dass ein Auxerrois vom Tuniberg derart betört? Der im Fass ausgebaute, an Weißburgunder erinnernde 2022er (12,90 Euro ab Weingut, Tel. 0 76 68/33 40 10) ist klar, frisch und blumig in der mit kalkigen Noten versehenen Nase und besitzt eine bemerkenswerte Eleganz, Präzision und kühle Frische. Wer einen derart spannungsreichen Auxerrois hat, braucht keinen Riesling mehr.
Mehr noch als die sehr guten Grauburgunder faszinieren die Chardonnays des Hauses, allen voran der charaktervolle St. Morand, der von rund 35-jährigen Reben stammt und für ein Jahr in burgundischen Stückfässern ausgebaut wird. Der vollmundige 2022er (24,90 Euro) überzeugt mit tiefem, intensivem und vielschichtigem Bouquet, ist sehr fein, elegant und ausgewogen am Gaumen und beeindruckt mit langem Nachhall.
An der Spitze der Phalanx von Spätburgundern stehen die Crus Hohrain (30 Euro) und Rosenloch (45 Euro), aber mit Bezug auf den moderaten Preis von 20 Euro am erstaunlichsten ist die Qualität der 2020er Alten Rebe. Dieser Rotwein reift 18 Monate lang in kleinen Fässern und bietet eine so frische wie würzige Nase mit gut konzentrierten Kirsch- und roten Beerenaromen, die sich mit Noten von Salbei und Schoter vermischen. Am Gaumen ist dieser dichte, unfiltrierte Burgunder von mehr als 30-jährigen Reben saftig, raffiniert und sehr elegant. Seine feinen Gerbstoffe wie auch der salzige Abgang verleihen ihm Struktur und Länge und machen ihn zu einem stimulierenden Essenswein. VON STEPHAN REINHARDT